Was vorher geschah:

Heute will ich euch auf eine Reise mitnehmen, auf eine Reise in ein Land, in dem Vieles anders ist als hier bei uns. Zuerst muss ich euch aber erzählen, was vorher geschah und da müsst ihr erst einmal eins wissen: Liam war wirklich ein richtiger Baumeister! Er war zwar erst sieben Jahre alt, aber er hatte mit seinen Bausteinen schon alle möglichen Häuser gebaut. Das Schloss jedoch, das jetzt vor ihm auf dem Tisch stand, das war das Allerbeste, das er jemals gemacht hatte!
Liam lehnte sich in seinem Stuhl zurück und begann ein wenig zu träumen. Ach, wenn er sich doch klein machen könnte, ganz winzig klein.  Dann könnte er in seinem eigenen Bauwerk herumgehen und sich alles von innen anschauen! Plötzlich stutzte er. Was war denn das? Mitten in seinem Schloss stand ein Männchen mit kurzen Beinen, einem riesengroßen Kopf und einer Zipfelmütze obendrauf. Wie kam denn dieser kleine Kerl hierher? Der sah ja aus wie... wie ein Zwerg! »Das bin ich ja auch!« sagte da plötzlich eine leise Stimme. »Ich bin doch Laroc, der Zwerg« »Und was machst du in meinem Schloss?« fragte Liam, » Ich dachte immer, Zwerge wohnen in Höhlen, in Höhlen unter Baumwurzeln.«  »Ich habe auch eine Höhle, eine sehr schöne sogar!«, sagte Laroc stolz. »Aber ich habe dir zugesehen, als du dieses Schloss gebaut hast und ich war neugierig, wie es hier drinnen wohl sein würde.«  »Und, gefällt es dir?« fragte Liam.  »Ja, ja, es war ja sehr schön hier... für eine Weile... aber... aber jetzt... « Der Zwerg sah plötzlich ganz unglücklich aus. »Aber jetzt will ich wieder nach hause! Ich will in meine schöne gemütliche Wurzelhöhle! Da riecht es nach Erde und nach Moos... und nach moderndem Laub... und mein Feuerchen knistert so schön... und mein Wurzelsüppchen blubbert im Topf und...«  »Dann geh doch wieder nach Hause!« unterbrach Liam ihn ungeduldig. »Aber das geht eben nicht!«, rief Laroc verzweifelt. »Ich finde den Weg doch nicht! Nur DU kannst mir jetzt noch helfen! Mein Ur- Ur- Urgroßvater hat immer gesagt: wenn du dich einmal in der Menschenwelt verirren solltest, und kein Zauber hilft mehr, dann kann dir nur noch ein Menschenkind helfen. Bitte, komm doch hier herein zu mir!«. »Was? Ich soll in das kleine Schloss hinein?«, Liam lachte. Der Zwerg aber blieb beharrlich. »Du kannst das, wenn du nur willst! Mach deine Augen zu, ganz fest, und dann stell dir vor, dass du hier neben mir stehst!«
Liam schloss die Augen. Oh, das war ja genau das, was er sich gewünscht hatte! Wie schön wäre es doch, wenn das kleine Tor in der Schlossmauer so groß wäre, dass er hindurchgehen könnte. Dann würde er nach oben schauen um die vielen Türme zu betrachten. Unglaublich, wie hoch sie waren! Liam schaute wieder nach unten. Jetzt stand er direkt vor der schweren, hölzernen Eingangstür. Er öffnete sie mühsam, stieg dann die breite Treppe hinauf und betrat den großen Saal des prächtigen Schlosses...

Liam konnte seinen Augen kaum trauen: da stand doch tatsächlich – Laroc, der Zwerg! Und er war kein winziger Zwerg mehr, nein, er war fast genauso groß wie er selbst!

Der Junge sah sich um. Ja, wahrhaftig, sein Wunsch war Wirklichkeit geworden. Er stand mittendrin in einem großen, wunderschönen Schloss, und zwar in einem Schloss, das er sehr gut kannte, hatte er es doch selbst gebaut.  Neugierig wollte er herumgehen und sich alles genauer anschauen, aber Laroc ließ ihm gar keine Zeit dazu.

»Siehst du,« rief der Zwerg ungeduldig, »ich habe ja gesagt, du kannst mir helfen!« »Dir helfen? Ja, aber ich weiß doch auch nicht wo deine Höhle ist.« wandte Liam ein. »Dann mach es doch genauso wie eben.« schlug Laroc vor. »Schließe deine Augen und stell dir vor, wir wären jetzt bei mir zuhause in meiner schönen Wurzelhöhle« Liam war nicht überzeugt: »Ja, aber ich kann mir deine Höhle doch überhaupt nicht vorstellen. Ich bin doch noch nie dort gewesen!«

Da wurde Laroc ganz traurig. Mit hängenden Schultern stand er da und sagte betrübt: »Aber ich will doch soooo gerne wieder nach hause...«

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© Daniela Göken